Flugzeugentführung in Belarus


Ein scheinbar normaler Flug, der sich zu einer Flugzeugentführung entwickelt. Das klingt erstmal ziemlich unwahrscheinlich, ist aber vor ein paar Tagen in Belarus passiert.

Was ist genau passiert?

Ein Passagierflugzeug der Fluggesellschaft “Ryanair” ist am 23.05.2021 auf dem Weg von Athen nach Vilnius, der Hauptstadt von Litauen. An Bord befinden sich etwa 170 Passagiere, zwei davon sind der belarussische Journalist und Blogger Roman Protassewitsch und seine Lebensgefährtin Sofia Sapega. Im Luftraum von Belarus wird das Flugzeug von einem belarussischen Kampfjet abgefangen und zur Landung in Minsk, der Hauptstadt von Belarus, gezwungen. Angeblich soll sich eine Bombe an Bord des Flugzeugs befunden haben. Allerdings wird bereits kurz nach der Landung der eigentliche Grund deutlich: die Verhaftung von Protassewitsch und Sapega. Die Bombendrohung war lediglich vorgetäuscht. Nun stellt sich die Frage, weshalb die beiden festgenommen wurden und warum sie für Präsident Lukaschenko eine Gefahr darstellen.


Wer ist eigentlich Roman Protassewitsch?

Roman Protassewitsch ist ein 26 Jahre alter Journalist und Blogger aus Belarus. Bereits seit seiner Jugend ist Protassewitsch Aktivist der belarussischen Opposition. Das bedeutet, er positioniert sich gegen Präsident Alexander Lukaschenko und dessen Regierung. Er nimmt an Protesten teil und war bis 2012 Vizepräsident einer “Anti-Lukaschenko-Gruppe”. Außerdem ist er Mitbegründer des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta. Nachdem Protassewitsch angeklagt wurde und seine Eltern beide ihren Job verloren hatten, flohen sie gemeinsam ins Ausland. Aber wo genau liegt das Problem?

Warum wurde Protassewitsch verhaftet?

Die belarussische Regierung rechtfertigt die Verhaftung von Protassewitsch mit mehreren Gründen. Das Problem bei diesen Gründen ist, dass sie alle eine Verdrehung der Wahrheit sind. So behauptet Lukaschenko, dass Protassewitsch wegen Organisation von Massenunruhen verhaftet wurde. Diese “Massenunruhen” waren allerdings nur einfache und friedliche Proteste, zu denen Protassewitsch auf dem Telegramm-Kanal Nexta aufgerufen hatte. Außerdem soll er in der Ostukraine für die Regierung in Kiew gekämpft haben. Ein früherer Parlamentsabgeordnete aus der Ukraine idersprach den Behauptungen Lukaschenkos. Im Jahr 2014 war Protassewitsch zwar in der Ukraine, arbeitete dort aber lediglich als Journalist. Für die Verhaftung von seiner Freundin Sofia Sapega gibt es keinen wirklichen Grund. Sie war auf dem Weg nach Vilnius, um dort ihre Masterarbeit zu verteidigen.

Wie waren die unterschiedlichen Reaktionen?

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Fassungslosigkeit und Empörung über das Handeln von Lukaschenko überwiegt. Sowohl die USA als auch die EU haben Sanktionen gegen Belarus erhoben. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte im Namen aller 27 EU-Mitgliedstaaten die sofortige Freilassung von Protassewitsch. Auch Heiko Maas, Außenminister von Deutschland, kritisierte das Handeln Lukaschenkos und bezeichnete den Vorfall als “gravierenden Eingriff in den zivilen Luftverkehr in Europa”. US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich auf Twitter zu den Vorfällen, es habe sich um eine “dreiste und schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes” gehandelt. Außerdem schrieb er: “Die Vereinigten Staaten stehen auf der Seite der Menschen in Belarus”. Die Journalistenorganisation “Reporter ohne Grenzen” stellte Strafanzeige gegen Lukaschenko, mit dem Vorwurf “Entführung eines Flugzeugs mit krimineller Absicht”.
Zwei Fluggesellschaften, Air Baltic aus Lettland und Wizz Air aus Ungarn, haben angekündigt, in Zukunft den belarussischen Luftraum zu meiden.
Russlands Regierung steht hingegen auf der Seite Lukaschenkos, kritisiert die Reaktionen auf die Vorfälle und wirft dem Westen Heuchelei vor.

“Die letzte Diktatur Europas”

Lukaschenko macht damit zum wiederholten Male negative Schlagzeilen. Obwohl das Land offiziell eine präsidentielle Republik ist, wird es häufig auch als “die letzte Diktatur Europas” bezeichnet. Bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr wurde Lukaschenko zum sechsten Mal wiedergewählt. Allerdings wird ihm schwerer Wahlbetrug vorgeworfen. Nicht nur die Opposition in Belarus zweifelt das Ergebnis an. Seit den mutmaßlich gefälschten Wahlen wird er auch von der EU nicht mehr als rechtmäßiges Staatsoberhaupt anerkannt. Die Empörung über die gefälschten Wahlen löste in Belarus Massenproteste aus, bei denen tausende Menschen protestieren. Obwohl diese Proteste in den meisten Fällen friedlich verlaufen, gehen die Behörden mit harter Gewalt dagegen vor. Tausende Menschen wurden dabei vorläufig verhaftet. Die UNO ( United Nations Organizations) meldet mehrere hundert Fälle von Folter und Misshandlung in belarussischen Gefängnissen. Auch nach diesen Vorfällen reagierte die EU mit Sanktionen gegen Belarus und Lukaschenko.

Wie geht es für Protassewitsch weiter?

Protassewitsch befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft. Ein Tag nach seiner Verhaftung wurde ein 30-sekündiges Video veröffentlicht, in dem er ein Geständnis ablegt und betonte, dass es ihm gut gehe. Die Opposition in Belarus und viele Experten zweifeln jedoch an dieser Aussage. Es gibt mehrere Anzeichen wie Verletzungen im Gesicht, dass er im Gefängnis misshandelt wird. Wie genau die Strafe für ihn letztendlich ausfallen wird, ist unklar. Besorgniserregend ist jedoch, dass es in Belarus immer noch die Todesstrafe gibt. Auch einen langen Gefängnisaufenthalt halten viele für
möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Protassewitsch wieder freikommt, ist sehr gering, trotz der Sanktionen.

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