Reiten – mehr als Sport

Alex springt mit strahlenden Augen aus dem Schulbus. Stolz verkündet er, dass er heute Savenna, das Therapiepony, aus der Box holen will. Die Reittherapeutin, seine Integrationshelferin und eine Begleiterin schauen Alex überrascht an, doch er bleibt dabei. Er will Savenna aus der Box holen. Seine Körpersprache hat sich ebenfalls verändert. Alex wirkt nicht mehr so zurückgezogen. Er wirkt stolz, für Alex ist das ein großer Schritt, denn für ihn ist es sehr schwierig, sich auf andere Lebewesen einzulassen und sich „normal“ mit ihnen zu verständigen, was oft zu Missverständnissen oder Streit führt und woraufhin Alex sich immer weiter zurückzieht. Er ist Autist und leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung.
Alex‘ Krankheit ist kein Einzelfall und seine Geschichte ist ein gutes Beispiel wie Therapeutisches Reiten bzw. der Umgang mit dem Pferd sich auf Menschen mit geistiger Behinderung auswirkt.

488.114 Kinder mit Behinderung leben in Deutschland (Stand 2003/4). Der größte Teil der Kinder und Jugendlichen sind Lernbehinderte. Weitere große Teile sind körperlich und motorisch behinderte Kinder, emotional und sozial Behinderte und geistig behinderte Kinder.
Es gibt drei Hauptgruppen des Reitens für Behinderte:
Die Hippo-Therapie, also die Therapie für körperlich beeinträchtigte Menschen. Diese wird meistens durch Ergo- und Physiotherapeuten mit Trainerschein durchgeführt. Hierbei machen die Menschen Übungen auf dem Pferd, mit denen sie ihren Körper trainieren.
Dann gibt es Reiten als Sport für Behinderte, bei dem Behinderte „ganz normalen“ Reitunterricht nehmen.
Dann gibt es noch das Heilpädagogische Reiten, das hauptsächlich für geistig bzw. emotional und sozial behinderte Kinder geeignet ist. Zu den emotional und sozial behinderten Menschen kann man auch fast alle Autisten hinzuzählen. Hierbei lernen sie sich auf ein anderes Lebewesen einzulassen.
Hier setzt auch die Therapie bei Alex an. Da er es schwierig findet mit Menschen in Kontakt zu treten, erleichtern ihm die Pferde den Kontakt zur „Außenwelt“ und lassen ihn Gefühle besser preisgeben. Er wird immer offener und seine Körpersprache ist wie ausgewechselt. Alex hat nun immer ein Ohr bei der Therapeutin und ist bereit zu sprechen. Es ist wie magisch, wie sehr sich sein Verhalten durch die Pferde verändert.

Außerdem beginn er ein Vertrauensverhältnis zu einem der Therapieponys aufzubauen. Es ist fast so, als würde das Pferd ein Ventil bei ihm aufdrehen, durch das seine Wörter kommen. Das Pferd lässt ihn sich sicher fühlen und aus dieser Sicherheit heraus beginnt er langsam Kontakt zu den Menschen aufzubauen. Erst langsam, dann von Stunde zu Stunde mehr. Alle umliegenden Menschen werden mehr und mehr zu Beobachtern und Alex braucht immer weniger die Hilfe und Sicherheit ihm bekannter Personen wie zum Beispiel seiner Integrationshelferin. Zwar ist seine Krankheit nicht heilbar, aber das Heiltherapeutische Reiten und der Umgang mit dem Lebewesen Pferd kann die Entwicklung des Autismus etwas mildern und Alex und allen Beteiligten den Umgang miteinander einfacher machen.
Doch warum eigentlich Pferde?

Hierzu habe ich Veronique Todisco, eine Sonderpädagogin und Reittherapeutin gefragt.
Ein Grund, warum gerade Pferde für heilpädagogisches Reiten, also das Reiten für z.B. Autisten, geeignet sind, ist, dass Pferde eine beeindruckende Größe haben, dabei aber sehr vorsichtig und sanftmütig sind und anders als Hunde sind, die direkten Kontakt suchen, wohingegen Pferde erstmal abwarten bis jemand auf sie zukommt. Sie reagieren sehr sensibel auf die Launen und Gemüter der Menschen und spiegeln dabei das Verhalten der Menschen. So reagieren sie auf Fehlverhalten zum Beispiel mit Umdrehen oder Weggehen. Zudem lassen sie jeden auf ihren Rücken, was gerade verhaltensauffälligen Kindern, Sicherheit und Geborgenheit gibt.
Die Schüler seien oft sehr viel ruhiger und entspannter, sobald sie den Reitstall beträten. Oft könnten die Schüler*innen im Reitstall einfach mal runterfahren und auf diese positiven Erinnerungen der Schüler, könnten die Lehrer in der Schule dann zurückgreifen, da viele Schüler auch im Stall oft merken würden, dass es auch ohne gewisse Auffälligkeiten geht.
Das Pferd sei aber kein Lehrer für die Kinder, sondern mehr ein Partner, dem sie ihr Verhalten anpassen und Verantwortung übernehmen.
Es brauche auch kein großes Programm, es würde schon reichen, wenn man einfach nur bei dem Pferd sei, so die Pädagogin. Sie sei nur der Vermittler und den Rest regelten die Schüler und das Pferd unter sich. Außerdem sollte man viele Ideen mit in eine Stunde bringen, aber ohne Ziel an jede Stunde gehen.

Langfristig solle man Ziele für die Kinder haben, aber auch hier sehr flexibel sein. Das Wichtigste seien Flexibilität und Ruhe und man solle sich selbst zurücknehmen können, um die Kommunikation zwischen Pferd und Kind in den Mittelpunkt zu stellen.
Viele Leute sind sehr begeistert von Therapeutischem Reiten, auch ganz besonders weil es fast bei jeder Person funktioniert. „Ich mache das Therapeutische Reiten jetzt schon sehr lange und die einzige Situation, in der das nicht funktioniert hat, war, als ein Kind zu große Angst vor dem Pferd hatte“, bestätigt die Reittherapeutin die These.
Das einzige Problem, was viele Familien haben ist, dass die Therapie nicht von der Krankenkasse gezahlt wird und viele es sich deshalb nicht leisten können. Doch dies ist eigentlich der einzige Nachteil des Heilpädagogischen bzw. Therapeutischen Reitens.
Reiten ist also viel mehr als nur Sport, sondern auch eine große Hilfe für Menschen mit Einschränkungen und Behinderung, sowohl mental als auch körperlich.

You may also like...