Zuhause bleiben kann nur der, der ein Zuhause hat

Eisige Nächte, enge Parkbänke, vermüllte Unterführungen. Jeden Abend die erneute Hoffnung, die alte, muffelige Maske würde einen vielleicht etwas wärmer halten. Morgens aufwachen mit der Hoffnung, dass man in den nächsten Tagen wenigstens eine vernünftige Mahlzeit zu sich nehmen wird. Die Betroffenen sind verzweifelt. Als wäre die Obdachlosigkeit noch keine genügende Belastung, erschwert nun seit einem Jahr auch noch die Pandemie den Unterstandslosen jeden einzelnen Tag. 

Seit März letzten Jahres haben die Bewohner Deutschlands den größten Teil ihres Tages zu Hause verbracht. Lediglich zum Einkaufen oder Arbeiten musste man gezwungenermaßen das Haus für einige Zeit verlassen. Dennoch war unser Zuhause besonders während dieser Zeit ein Rückzugsort. Das war essenziell für uns, denn abgesehen vom Impfstoff gibt es keine andere Möglichkeit, uns selber zu schützen. Wir haben lediglich die Isolation von anderen, die uns hilft alle vor dieser gefährlichen Krankheit zu bewahren. Für die meisten war das selbstverständlich. Wo sollte auch die Schwierigkeit liegen, einige Wochen daheim zu verbringen? Und doch ist genau das ein Problem für über 650.000 Menschen in Deutschland. 

650.000  Bewohner Deutschlands sind obdachlos. Sie haben kein Zuhause, keinen Schutz vor der Außenwelt. Sie sind den Gefahren alleine ausgesetzt. Das größte Problem ist momentan das Corona-Virus. Besonders in kalten und feuchten Jahreszeiten macht das Virus den Menschen zu schaffen. Vor allem die, die schon eine lange Zeit ihres Lebens auf der Straße verbringen mussten, trifft es nun hart. Sie sind ohnehin schon geschwächt und gehören mit Vorerkrankungen zu den Risikogruppen. Denn normalerweise retten sie nur bestimmte Einrichtungen oder Kantinen vor dem sicheren Tod auf der Straße. Diese Möglichkeit existiert nicht mehr. Den Menschen wird kein Rückzugsort geboten. Sie haben keine einzige andere Möglichkeit als auf dem blanken Boden zu schlafen und zu versuchen zu überleben. Die einzige Chance auf etwas Normalität, einen sicheren Ort zum Schlafen, etwas Gesellschaft, das hat ihnen das Virus genommen. 

Tafeln sind für die meisten Obdachlosen der einzige Weg, auf der Straße nicht zu verhungern. Die kostenlose Lebensmittelausgabe – oft die letzte Hoffnung. Nicht einmal auf diese konnten sich die Menschen verlassen. Bevor vor einigen Monaten die Schnell- und Selbsttests publik wurden, kamen Obdachlose oft nicht einmal in die Nähe von nahrhaften Lebensmitteln. Viele mussten wie Tiere versuchen an Nahrung zu kommen. “Zurzeit ist es einfach nicht möglich, den Mindestabstand einzuhalten. Wenn die Tafeln in Deutschland weiter geöffnet wären, wäre die Gesundheit aller in Gefahr.” So begründete Jochen Brühl die Schließung der lebensnotwendigen Einrichtungen und verkündete gleichzeitig eine Hungersnot für alle Obdachlosen. 

In dieser Situation meint man, die letzte Hoffnung wäre nun die Liebe und Empathie der Menschen. Großzügige Spenden oder Menschen, die mit warmen Decken helfen, gegen die eisigen Nächte anzukämpfen. Diese potentiellen Helfer, ja sogar Retter könnte man sagen, sitzen gerade zu Hause. Sie versuchen sich und ihre Liebsten zu beschützen. Sie versuchen Kontakt mit anderen zu vermeiden. Sie versuchen den größten Teil ihres Lebens in ihr Haus zu verlegen. Was einem hier als richtig erscheint, ist für die Obdachlosen ein Schlag ins Gesicht. Die klirrenden Münzen oder das lautlose Papier, das in die zerknitterten Pappbecher in den kalten Händen der Bettelnden fällt, fehlt. Die vollen Straßen in Köln oder Düsseldorf finanzierten den Menschen ihre Mahlzeit, die sie kräftigt. Nach Zahlen von “bonus-b” verdienen Bettler in Großstädten knapp 30 Euro, wenn sie den gesamten Tag am Straßenrand sitzen. Den Menschen bleibt nun nicht einmal das. 

“Die schlagen sich da schon irgendwie durch.” “Das sind ja alles Kämpfer.” Viele sehen hier nicht den Ernst der Lage. Obwohl alleine in Hamburg im letzten Winter 13 Menschen ihr Leben in einer Ecke auf der Straße verloren haben, macht die Politik nichts. Weder organisierte Hilfe, noch ein System, das den Menschen ein Leben ohne Angst ermöglicht, hat die Regierung vorgelegt. Weder vor, noch nach Corona. Dabei lassen wir täglich Menschen verhungern. Ohne die ehrenhafte Hilfe weniger Menschen wäre es diesen Winter zu deutlich mehr als 13 Toten gekommen. Wenn die Lage doch so ernst ist, warum fokussiert sich die Politik nicht darauf, dass Menschen, die oft nichts für ihre Situation können, unter einer Brücke sterben müssen? Niemand übt Druck aus. Keine Entscheidung wird ohne den Druck von außen getätigt. Dieser Druck kann nicht existieren, denn die Menschen sehen das Problem nicht. Das ist kein metaphorischer Ausdruck, denn die Menschen bekommen das Problem nicht zu sehen, denn die meiste Zeit verbringen sie im eigenen Haus. So kann die Politik einfach eine Angelegenheit unter den Teppich kehren und sich währenddessen der Überwachung von Menschen widmen, die mit mehr als zwei Haushalten im Park spazieren. 

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