Alle Jahre wieder – Aus dem Leben eines Serienlesers

Es ist doch immer wieder das Gleiche. Immer wenn du denkst, du hast es endlich hinter dir. Immer wenn du glaubst, es endlich geschafft zu haben. Immer wenn du anfängst, auf einen neuen Beginn zu hoffen. Dann kommt diese feine kleine Stimme in deinem Hinterkopf. Und diese Stimme flüstert dir zu: „Hör nicht auf.“

Also blätterst du um. Deine Augen finden die Leere nach dem letzten Absatz noch vor dem nächsten Wort oben auf der Seite. Du schluckst, du zögerst, doch du liest weiter. Bis zum bitteren Ende. Mit zittrigen Händen blätterst du noch einmal um. Du lechzt nach mehr – nach weiteren Worten. Worte, ohne die du im Moment einfach nicht leben kannst. Doch dich empfangen nur weiße Seiten. Danach eine Überschrift. „Danksagung“. Und genau in diesem Augenblick bricht die kleine Welt, die du dir eben noch erträumtest, in einen Scherbenhaufen zusammen.

Du hast es gewusst. Dir war immer klar, wie das hier enden würde. Und doch hast du es getan. Für einen Moment fühlst du dich, als hättest du alles verloren, was du je besessen hast. Du wusstest doch von Anfang an, worauf das alles hinauslaufen würde. Dir schwante schon der ganze Stress. Du ahntest doch schon so lange die ganzen Nerven, die du verlieren würdest. Und doch – du hast es getan.

Erinnerst du dich noch? Damals, in der Buchhandlung. Es war ein herbstlicher Tag und du wolltest dir eigentlich nur die passende Winterlektüre zulegen. Dieses eine Buch, das dich beschäftigen sollte, bis du irgendein Neues zu Weihnachten bekommen würdest. Ein wenig gelangweilt (denn du hattest keine besonders hohen Erwartungen) strolchtest du durch die Regale. Nahmst einen Roman in die Hand, hast ihn wieder zurückgelegt. Du wusstest zwar nicht, was du wolltest, aber du wusstest, was du nicht wolltest: den gleichen Stress wie letztes Mal. Aber dann … dann hast du es gesehen. Und du wusstest, dass du es haben musstest. Dir war plötzlich alles egal.

Und das war der Beginn deiner nächsten schmutzigen Beziehung. Das war der Moment, in dem du dich erneut auf eine Sache eingelassen hast, der du nicht vertrauen konntest. Du hast wieder einmal angefangen, eine Serie zu lesen.

Was sich am Anfang wie die lang ersehnte frische Brise nach langer Flaute anfühlte, stellte sich schnell als der Sturm hinaus, der dein armes Schiff ein weiteres Mal zum Kentern bringen sollte. Es fing so harmlos an. „Oh, ich mag das Szenario“, dachtest du noch nach den ersten paar Seiten. Nach einem Kapitel schon fühltest du mit dem Protagonisten, nach dem zweiten Kapitel wurdest du der Protagonist. Ab diesem Punkt dann wurde es schlimm. Etwa ab einem Drittel des Buches begannst du, dir bestimmte Handlungsverläufe zu wünschen. Und spätestens kurz nach der Hälfte sahst du hinten nach, ob schon die Ankündigung für den nächsten Band da war.

Du hast Glück gehabt, der zweite Teil war bereits im Handel erhältlich. Und ehe du es dich versahst, hattest du zwei Bücher gelesen, Weihnachten war längst um und die Zeit bis zur nächsten Neuerscheinung erschien dir endlos. Du fingst an, nicht mehr in Minuten zu denken. Du verschobst dein Zeitkontinuum. Jeder Elementarmagnet deines Körpers richtete sich nur noch auf diesen einen Pol aus: das Finale der Trilogie.

In der Zwischenzeit vertriebst du dir deine Zeit mit googlen. Du googletest alles – die Hauptcharaktere, den Autor, eventuelle Verfilmungen, Neuigkeiten, Fan-Blogs … Und du erzähltest deinen besten Freunden davon. Ja, du warst derjenige, der sie infiziert hat. Denn natürlich haben sie auf deinen Rat hin auch angefangen, die Serie zu lesen. Als egoistischer Mensch hast du natürlich jemanden gewollt, mit dem du dein neues Fachwissen austauschen konntest. Jemanden, mit dem du mögliche Pärchenkombinationen besprechen konntest. Jemanden, der mit dir in deinem schwarzen Loch hängt.

Und dann war der rot im Kalender angestrichene Tag endlich da. Du hattest dich zwar gezwungen gefühlt, zur genauen Erinnerung an das Ende des letzten Bandes vorher noch einmal beide Teile zu lesen, doch nun war endlich das Finale da. Du warst der Erste im Buchladen. Nach drei schlaflosen Nächten war deine Ausgabe die erste, die ausgelesen neben dem Bett lag. Doch anstatt von der tiefen Trauer, die du – in dem vermeintlichen Wissen, dass dies der letzte Band deiner Trilogie war – am Anfang noch verspürtest, war da nun dieses Kribbeln in deinem Bauch. Seit der letzten Seite war es da. „Fortsetzung folgt…“. Diese beiden Worte brachten es fertig, dein Leben zu retten.

Im nächsten Jahr schafftest du es, irgendwie weiter zu leben. Vor allem eine Kleinigkeit hielt dich wach: der erste Teil deiner Trilogie kam nun als Film in die Kinos. Trotz leerer Geldbörse pilgertest du hin – ganz der treue Dackel, der du dich vor über einem Jahr verpflichtet hattest zu sein. Deine Freunde kamen gezwungenermaßen natürlich mit. Es war auch egal, dass es eine Spätabendvorstellung war. Am Tag vor einer Klausur. Solche Nichtigkeiten hielten dich als treuen Fan nicht auf.

Und dann erschien der vierte Teil. Schon der Titel versetzte dich in Aufregung. Und trotzdem ließ das Buch dich wieder einmal in tiefer Enttäuschung zurück – irgendwie war das kleine Pflänzchen der Hoffnung in dir gekeimt und gereift. Doch die kleine Blume hatte keine Chance, zu überleben – zertrampelt wurde sie von der Ernüchterung, dass auch deine Buchreihe Buch für Buch immer und immer schlechter wurde. Die Dialoge waren nicht mehr spritzig, die fiesen Kommentare nicht mehr bissig. Es war dir zu wenig Liebe und zu viel Gewalt, die Cliffhanger schienen alle plötzlich plump und die Charakterentwicklung vorhersehbar.

Und trotz wiederholten Protests deiner Brieftasche zogst du weiterhin mit. Band für Band. Film für Film.

Und hier stehst du nun. Kopfschüttelnd legst du ihn weg – den wirklich allerletzten Band deiner Serie. Und wunderst dich, warum du wieder einmal ihrem Bann erlegen warst. Der bittere Nachgeschmack eines schlecht gemachten Endes liegt auf deinen Lippen. Schon bimmelt dein Handy, weil dir die halbe Welt, die inzwischen deine Serie auch liest, mitteilen will, was alles so passiert. Du seufzt. Schon wieder bist du darauf reingefallen. Schon wieder dachtest du, du wärest bereit für eine Langzeitbeziehung. Und wieder wurdest du enttäuscht. „Ich hab’s dir  ja gesagt“, murmelt die Stimme in deinem Kopf.

Lena Kricsfalussy (Q2)

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