Im April haben wir hier Charakterskizzen aus der Schreibwerkstatt veröffentlicht. Daneben haben sich Schüler/innen dieses Literaturkurses der Q1 auch mit den Themen Heimat und Zeit auseinandergesetzt. Zwei überzeugende Beispiele findet ihr hier!
zeitsand
die zeit kann man sich nicht nehmen
sie fließt und hält niemals je an
wie salzwasser im ozean
blut in unsterblichen venen
versuch´ zeiger festzuhalten
doch ganz egal mit wie viel kraft
wir alle uhren abschalten
über zeit hat man keine macht
denn sie ist wie eine sanduhr
sand hört niemals auf zu fallen
so unaufhaltsam und so stur
hör´ ihn auf dem boden schallen
bekomme angst, meine hände
versuchen den sand zu fangen
stoßen an gläserne wände
die nie so hartherzig klangen
zerschlagenes glas, die wand bricht
blutende hände, der sand sticht
doch kann ich ihn endlich halten
und auch diese uhr abschalten
doch der sand hat kein erbarmen
wiegt so schwer in meinen armen
kann nicht verstehen, was das soll
meine hände sind viel zu voll
zeitsand entrinnt meinen fingern
wie kann ich ihn daran hindern
springt in alle richtungen weg
dass ich ihn nicht zu fassen krieg´
mich umgibt sand der verzweiflung
und in meiner vorstellung
ist er die verlorene zeit
die ungenutzte möglichkeit
während ich weiter versuche
meinen zeitsand einzufangen
und verzweifelt dabei fluche
nichts stillt dieses zeitverlangen
spuren von gefallener Zeit
füllen das glas um mich herum
bringen mit unaufhaltsamkeit
mich langsam aber sicher um
sand, der jeden kontakt abwehrt
und all meine hoffnung zerstört
mein´ beinen das gehen erschwert
mein flehen einfach überhört
all die dort liegenden stunden
vielleicht wertvollen sekunden
hinterließen tiefe wunden
blieben für mich ungefunden
habe wohl nie realisiert
was während meinen absichten
zeitsandburgen zu errichten
ringsherum tatsächlich passiert
mir wurde genug zeitstaub geschenkt
was ich nur leider nie verstand
sodass der weggeworf´ne sand
mich nun in diesem glas versenkt
ach, welch´ bittere ironie
dass der zeitschatz, der mir verlieh´n
den ich dacht´, hätt´ ich nie gekriegt
mich letzten endes dann erstickt
Sina König (Q1)
Heimatgedicht (Inka Kesch, Q1)
Vielleicht ist dies ein Heimatgedicht,
weil Heimat lächelnd über Fernweh spricht.
Woran denkst du still und leise,
wenn ich Heimat in deine Sätze überschreibe,
Fragezeichen aus den Winkeln dieser Stadt pflücke,
Und deine Worte damit ausschmücke.
Altbekannte Heimat,
als DIN A5 -Format,
der Papierfliegerreisen.
Unbeschriebenes Blatt,
mit Neontinte unsichtbar gemacht.
Was ungesagt hinter deinen Mauern lacht.
In bittersüßer Ironie gewendet,
und dabei dem Wortstamm völlig entfremdet.
Kleinstadtkakophonie,
nenne ich deine Melodie.
Und den Gesichtsausdruck der Menge nenne ich Zeit.
Und dann frage ich mich,
warum der Einzelne nur dann verweilt,
wenn sich niemand mehr beeilt.
Und wir kollektiv rückwärtsgehen,
viel eher felsenfest neben uns stehen,
und warten das die Stadt sich weiter bewegt.
Weil sich ja sonst nichts regt.
Das denken sie zumindest,
zünden sich eine Zigarette an und schauen die Nachrichten.
Gehen feiern, besaufen sich und torkeln in Schichten,
benebelt und gleichzeitig mal wieder frei durch diese Stadt.
Für eine Kleinstadt schreit sie ziemlich laut,
und vielleicht etwas schief,
aber das hat doch auch seinen Charme.
Hundebellen. Jeden Morgen, jede Nacht,
brauche meinen Wecker nicht zu stellen,
Routine die über meinen Alltag wacht.
Woran denkst du still und leise,
wenn ich Heimat in deine Sätze überschreibe,
Fragezeichen aus den Winkeln dieser Stadt pflücke
Und deine Worte damit ausschmücke.
Zwischen zwei Großlärm -Metropolen,
reckt sie sich und atmet kleinlaut in den Morgen hinein.
Versteckt sich im Schein,
des Straßenlichts der Wohnviertelgassen.
Und belebt durch alle Insassen,
der Mehrfamilienhäuser und Schrebergartenfreunde.
Der Neuhausbauten und Baustellen -Rebellion,
die im ohrenbetäubenden Ton,
den Waldspielplätzen asphaltierte Versprechen verkauft.
Der Familienbetriebe und Möchte-Gern- Läden,
der Naturräume und Kunstmauern,
der Visionäre und Alltagsbauern.
Belebt durch das Zwischen -und Mittendrin.
Weil sie zwischen „jeder kennt jeden“ und distanzierter Gleichgültigkeit pulsiert,
und ihre Straßen, die sind farbig durch nummeriert.
Und ausschraffiert,
mit Erinnerungen und Kindheitsträumen.
Heldensagen und City-Roller- Gangs ,
die im Winter durch Garagenschluchten kriechen.
Im Herbst zu Drachenjägern mutieren
Und sich in Kreidebildern stundenlang verlieren.
Belebt durch das Mittendrin,
weil wir uns inmitten dieser modernen Schlacht,
Strebend und suchend weiterdrehen.
Und stolz im Angesicht der Pracht,
die uns facettenreich entgegen lacht.
Gleichzeitig blind für manche Funken,
in die wir unsere Sinne tunken,
und doch nichts fühlen.
Woran denkst du still und leise,
wenn ich Heimat in deine Sätze überschreibe,
Fragezeichen aus den Winkeln dieser Stadt pflücke
Und deine Worte damit ausschmücke.
Vielleicht ist dies ein Heimatgedicht,
weil Heimat aus meinen Erinnerungen spricht.
Und mehr hat als nur ein Gesicht.
Sich formbar und zeitlos in meine Gefühle flicht.