33-jährige Engländerin entführt und ermordet – dahinter verbirgt sich ein ganz anderes Thema…

Im März 2021 löste der Fall von Sarah Everard bei vielen Frauen in England und auf der ganzen Welt Entsetzen aus. Der Grund: Die Angst, nachts rauszugehen.

Der Fall Sarah Everard

Am 3. März 2021 war die 33-jährige Marketing-Managerin zu Fuß auf dem Weg von einer Freundin nach Hause, als sie – wie sich herausstellte – von dem Polizeibeamten Wayne Couzens entführt und ermordet wurde. Am 9. März wurde der 48-jährige Familienvater festgenommen – einen Tag bevor die Überreste Sarahs gefunden wurden. Er befindet sich nun in Untersuchungshaft. Auch seine Ehefrau stand unter Verdacht, Beihilfe zur Tat geleistet zu haben; sie wurde jedoch ohne Anklage wieder freigelassen.

„She was just walking home”

Das Gefühl kennt jede Frau, jedes Mädchen. Wenn nachts noch ein Weg ansteht, nimmt man besser das Auto; „Nimm den Hund mit!“, manche Ecken vermeidet man lieber. Weite Kleidung und Kapuze, ein inszeniertes Telefonat; „Ruf mich an, wenn du Zuhause bist“ – das ist alltäglich. Nachts einen Spaziergang allein zu machen, kommt wohl kaum einer Frau in den Sinn. Doch auch tagsüber ist das Problem nicht mit dem Mond untergegangen. An Gruppen von Männern vorbeizulaufen und dabei einen Spruch zu hören ist unangenehm; ein Mord durch einen „Freund und Helfer“ – ein Skandal.

Die Angst – vor was?

Zügiges Gehen, panisches Umgucken, Handy und Schlüssel in der Hand, ein Pfefferspray in der Tasche – okay. Doch was ist die eigentliche Angst der Frauen und wie entsteht sie? „Ich denke, meine schlimmste Vorstellung ist, dass jemand mich angreift, mich entführen möchte oder vergewaltigen möchte“, ist eine Aussage einer jungen Frau in dem YouTube-Video des deutschen, öffentlich-rechtlichen Kanals „reporter“, welches sich genau um dieses Thema dreht. Doch ist diese Angst überhaupt berechtigt? „Für eine große Unsicherheit, gerade im öffentlichen Raum, besteht eigentlich kein Anlass“, so der Soziologie Dr. Tim Lukas in dem Video. Insbesondere im Hinblick auf sexualisierte Gewalt sei der private Nahraum sehr viel gefährlicher als der öffentliche Raum. Doch woher kommt dann diese Angst? Dr. Tim Lukas erklärt, dass auch der Ort entscheidend ist. Auf einem neuen, gut beleuchteten Platz mit hohen Bäumen fühlt man sich schließlich auch als Mann sicherer als in einer dunklen, dreckigen Ecke, die schon tagsüber nach Marihuana riecht und voller Graffiti ist: Hier müssen die Städte einiges ändern.
Der Fall Sarah Everard scheint jedenfalls wie ein Weckruf und wie der Beweis, dass die Angst von Frauen, sich nachts im öffentlichen Raum aufzuhalten, nicht unbegründet ist.

„Statt deine Tochter zu beschützen, solltest du deinen Sohn aufklären“

Von klein an wird es den Mädchen beigebracht: „Komm aber nach Hause, bevor es dunkel wird.“; „Zieh dich nicht zu knapp an.“ Kein Wunder also, dass bei Übergriffen auf Frauen oft trotzdem noch die Frage kommt – „Was hatte sie an?“ oder „Warum war sie überhaupt allein unterwegs?“ Doch genau hier beginnt die Debatte. Dass nicht jeder Mann eine Gefahr darstellt oder böse Absichten hat, ist klar. Doch, wer solche Fragen stellt, scheint den Ernst der Lage nicht begriffen zu haben. Schließlich geht es heute darum, dass sich jeder Mensch zu jeder Uhrzeit sicher fühlen sollte. Die Sensibilität für den privaten Raum einer Person und der Respekt vor einem „Nein!“ sollte dringend wiederhergestellt werden.
Wie eine Studie der Hochschule Merseburg zeigt, hat fast jede Frau in Deutschland mindestens einmal sexuelle Belästigung erlebt. 97 Prozent hätten schon einmal Formen sexueller Belästigung erfahren oder fühlten sich belästigt. Doch auch 95 Prozent aller diversgeschlechtlichen Personen sollen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Bei Männern seien es 55 Prozent. Insgesamt seien es eher junge Frauen gewesen, die Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht haben. Das sei darauf zurückzuführen, dass die Sensibilität gegenüber sexuellen Grenzverletzungen in den letzten Jahrzehnten zunahm.

Keine Frau ist also mit ihren Erlebnissen allein. Dennoch kostet der Schritt, eine sexuelle Belästigung oder gar Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen, oftmals Überwindung. Viele Frauen haben mit Schamgefühlen zu kämpfen oder suchen bei sich selbst die Schuld. Das liegt auch an dem Bild, was uns durch die Medien unterbewusst vermittelt wird. Wer beim ersten Date mitgeht, ist eine Hure; wer sich sexy anzieht, ist eine Hure. Sich einzugestehen, dass man selbst nicht schuldig ist, während man bei einem Gerichtsprozess gefragt wird, was man anhatte, wie viel Alkohol man getrunken hat oder ob man „mitgemacht“ hat, ist eine sehr große Herausforderung. Ein solches Verbrechen ohne Beweise und mit der Angst, die Tat erneut durchleben zu müssen, zur Anzeige zu bringen, trauen sich die wenigsten Opfer.

Zukünftig sollte jedenfalls jedem Jungen beigebracht werden, wo die Grenzen sind und wie man sich respektvoll verhält. Die Frage, was die Frau während der Tat anhatte, sollte irrelevant sein. Ob im Hoodie oder in Unterwäsche – niemand hat das Recht, eine Person ohne ihren Willen anzufassen oder zu belästigen. Es handelt sich um ein strukturelles Problem und nicht darum, dass sie sich an diesem Abend zu knapp gekleidet hat.

Was Männer tun können, damit Frauen sich nachts sicherer fühlen

Nun stellt man sich die Situation auf der Straße vor: Eine männliche läuft hinter einer weiblichen Person. Auch für den Mann kann es unangenehm sein, zu merken, dass sich eine Frau unwohl fühlt. Hier kommen ein paar Tipps, was Männer tun können, damit sich Frauen draußen sicherer fühlen:

  1. Halte Abstand. Je näher du kommst, desto größer scheint die Gefahr. Verringere dein Tempo und vergrößere deinen Abstand, wechsle die Straßenseite, wenn möglich.
  2. Starre sie nicht an. Schaue auf dein Handy und wirke möglichst desinteressiert, um ihr nicht das Gefühl zu geben, dass du sie fokussierst.
  3. Behalte deine Gedanken für dich. Vor allem, wenn eine Frau eine große Gruppe von Männern passiert, kommen häufig Sprüche. Halte dich zurück und versuche dich in ihre Lage zu versetzen. Entschuldige dich auch für deine Freunde oder weise sie darauf hin, dass es nicht cool ist, einer Frau ein ungutes Gefühl zu geben.
  4. Halte die Augen offen. Wenn du mitbekommst, dass eine Frau belästigt oder angemacht wird, musst du dich nicht sofort in Gefahr begeben. Frag sie, ob sie die Person kennt, ob alles in Ordnung ist oder behalte die Situation aus der Ferne im Auge, wenn du das Gefühl hast, dass jemand belästigt wird. Zivilcourage ist immer gut!
  5. Teile die Tipps! Mache deine männlichen Freunde auf ihre Privilegien aufmerksam und sprich sie eventuell auf vergangene Fehler an. Denke daran, dass ein Spruch bereits unangenehm ist.

„Sexuelle Belästigung“

In Zukunft wäre es jedenfalls wichtig, jedem Kind beizubringen, was sexuelle Belästigung überhaupt bedeutet. Erst so können vor allem junge Menschen erkennen, was normal ist und was Grenzüberschreitung bedeutet. Schon die Grundschule, ja der Kindergarten sollte den Kindern vermitteln, dass sie nein sagen dürfen, wenn sie sich unwohl fühlen – und das zu jedem.

Auch, wenn die meisten Fälle sexueller Belästigung im privaten Nahraum stattfinden, ist der Fall von Sarah Everard der eindeutige Beweis dafür, dass die Angst vor dem öffentlichen Raum ebenso berechtigt und ernstzunehmend ist. Das zeigen auch viele weitere Fälle. Diese kleinzureden, wird das Problem in Zukunft immer weiter ausweiten. Wer Übergriffe, Gewalt oder (sexuelle) Belästigung erlebt hat, sollte das zur Anzeige bringen, egal, wie lange es her ist. Dennoch ist es auch verständlich, wenn jemand das Geschehene lieber verdrängen möchte. Mit einer Vertrauensperson zu reden, wird auf Dauer jedoch der beste Weg sein. Der Schritt zur Anzeige ist schwierig, aber notwendig, um Täter*innen zu bestrafen und vor allem andere Opfer zu schützen.
Gerechtigkeit zu verlangen ist wichtig, um Gerechtigkeit zu normalisieren.
Gerechtigkeit zu verlangen ist wichtig, um Gleichberechtigung herzustellen.
Gerechtigkeit zu verlangen ist wichtig, um wirklich mit solchen Erlebnissen abschließen zu können.

Hilfe für Betroffene

Falls Du von sexueller Gewalt betroffen bist oder jemanden kennst, der Erfahrungen damit gemacht hat, oder Du dich ganz einfach unsicher mit dem Thema fühlst, erhältst Du hier Hilfe:

https://www.hilfetelefon.de/gewalt-gegen-frauen/sexualisierte-gewalt.htmll

https://www.profamilia.de/fuer-jugendliche/rechte-und-sexualitaet/sexuelle-gewalt

Tel.: 08000 166 016

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Todesfall_Sarah_Everard

https://www.youtube.com/watch?v=USgDbtWeP4s

https://www.youtube.com/watch?v=xso1snXEvu0

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/studie-sexualisierte-gewalt-hochschule-merseburg100.html

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2 ahUKEwjJxdiZnN3wAhU1h_0HHe24D8kQFjAEegQIFBAD&url=https%3A%2F%2Fwww.ifashome.de%2Fwp-content%2Fuploads%2F2021%2F03%2FPM_Studie-zu-Grenzverletzungen-undsexualisierter-Gewalt.pdf&usg=AOvVaw2dWrSpSy1qhrvPXLuXR0re

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