Interview mit Sarah Schwedes

Von Lena Riemer.

Sarah Schwedes hat etwas erreicht, wovon viele junge Schreiber träumen: Sie hat ein Buch geschrieben und sogar veröffentlicht! Doch das Besondere war in ihrem Fall, dass die Schweizerin das Buch für ihr Matura (die schweizerische Form des Abiturs) geschrieben hat. In ihrer Heimat ist die Abschlussarbeit nämlich deutlich freier, als wir es aus Deutschland kennen. Das Genre war ihr relativ schnell klar. Sie sagt selbst „die einzigen Fächer, in denen sie wirklich gut war, waren Deutsch und Geschichte“.

Der Roman „Fiktion und Realität“ erzählt verschiedene Geschichten von RAF-Mitgliedern, Spionen, Welt- und Nachkriegszeugen. Am 22. Juni besuchte sie die Roman-AG, las aus ihrem Buch vor und beantwortete im Anschluss noch ein paar Fragen.

 

  1. Wie lang hast du an dem Buch geschrieben?

Der Entstehungsprozess des Buchs hat knapp zwei Jahre gedauert. Das ist die Zeitspanne von der ersten bis zur letzten Idee, den Recherchen, der Konstruktion einer Geschichte und der Ausarbeitung der Stile bzw. Gedanken zur Ästhetik etc. Geschrieben – und in dem Fall meine ich den reinen Prozess des Schreibens an sich – habe ich jedoch nur ca. 4 bis 5 Wochen: drei Wochen in den Frühlingsferien, eine Woche in den Sommerferien. Davor und zwischendurch habe ich auch ein klein wenig geschrieben, was etwa eine Woche Arbeit ausmachen dürfte.

  1. Deine Kapitel sind in verschiedenen Stilen geschrieben. Wie hast du dir die angeeignet?

An jeden Stil bin ich anders herangegangen. Bei manchen habe ich tatsächlich die Sprache von Originaldokumenten aus dieser Zeit übernommen – da habe ich mir vor allem Tonbandaufnahmen angehört, um mir den Duktus (also gewissermaßen den „Sprachstil“) der 70er anzueignen. Bei manchen habe ich mich natürlich auch von Büchern inspirieren lassen, die ähnliche Strukturen aufweisen (z. B. Tschick, Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969, Die verlorene Ehre der Katharina Blum etc.).

  1. Gab es auch Schreibblockaden / Momente, in denen du alles aufgeben wolltest?

Jein. Wirkliche Schreibblockaden hatte ich zum Glück nie. Natürlich hatte ich oft keine Lust; dann sind die Kapitel auch meist nicht besonders gut geworden. Und alles aufgeben? Ich glaube, das wollte ich nie. Sehr, sehr oft wollte ich jedoch alles ändern. Ich hätte auch gar nicht aufgeben können; meine Note hing schließlich davon ab. Das war ja eine Note, die für mein Maturazeugnis gezählt hat, also ähnlich eurem Abiturzeugnis. Da wusste ich natürlich, dass ich nicht aufgeben konnte.

  1. Du studierst Filmwissenschaften. Bei dem Treffen wurde uns ja schon erklärt, dass du dein Buch im Kopf auch filmisch inszeniert hast. Kannst du das vielleicht noch einmal erklären?

Ja, der Film, der vor dem geistigen Auge abgespielt wird bzw. das Kopfkino … Das hängt vielleicht auch ein bisschen damit zusammen, dass ich einmal Regisseurin werden wollte … Auf jeden Fall habe ich mir jede Szene natürlich bildlich bzw. szenisch vorgestellt. Dieser Film sah und sieht – ich sehe noch die gleichen Szenen vor mir – aus wie ein fertig geschnittener Kinofilm. Das heißt, die Szenen sind so ausgeleuchtet, wie man sie in einem Film ausleuchten würde, die Farben stimmen mit der Stimmung überein, die Bildkomposition ist ausgeglichen, wenn die Szene es erfordert, und unausgeglichen, wenn es andere Anforderungen gibt. Manche Szenen habe ich mir mit extremer Weitwinkelobjektiv-Optik vorgestellt, andere mit Teleobjektiv-Optik. Manche Bilder wirken dadurch verzerrt oder verschwommen. Es ist schwer zu beschreiben, wie man sich das im Kopf zurechtlegt. Ich glaube, die allermeisten Bilder sind einfach ganz natürlich so entstanden, ich musste gar nicht viel an ihnen herumbasteln. In manchen Buch-Szenen habe ich dann bewusst mit diesem imaginären Film gespielt: Manche Kapitel sind „geschnitten“. Manchmal imitieren die Sätze Kamerafahrten oder Zooms. Zeitlupen und Zeitraffer sind Mittel, die man in der Literatur ja auch kennt. Da nennt man sie dann Dehnung und Raffung und meist bewirken sie Verfremdungseffekte in Bezug auf die erzählte und die Erzählzeit – genauso wie im Film. Bei solchen Analogien bietet es sich natürlich an, den Film im Kopf aufs Papier zu bringen. An dieser Stelle sollte ich aber hinzufügen, dass man zwei Medien nicht wirklich mischen kann. Was im Buch steht, ist Literatur. Das in meinem Kopf ist ein imaginierter Film. Der Prozess, bei dem der Film aufs Papier kommt, also die Gedanken, die man sich um Stil, Struktur, Bildlichkeit, Metaphern etc. macht, und die Bewegungen, die man dabei ausführt, das ist dann Schreiben.

  1. Zu guter Letzt: Hast du Tipps für junge Autoren, die in ihrer Schulzeit ein Buch schreiben wollen?

Das ist relativ schwierig. Vor allem deshalb, weil ja jeder sein Schreiben anders wahrnimmt. Jedes Buch ist individuell. Und es wird kein Buch zweimal geschrieben. Nicht von einer Person und schon gar nicht von zweien. Zudem haben Schriftsteller nie ausgelernt, man entwickelt sich ja ständig weiter, genauso tun das auch die Texte. Hinzu kommt, dass Schriftsteller oftmals bis zu einem gewissen Grad Autodidakten sind. Natürlich gibt es Schreibworkshops, auf dem Markt gibt es Tausende von „Schreibratgebern“. Aber meist zeigen diese Hilfestellungen immer nur auf, was der Norm entspricht. Hält man sich also an diese Regeln und Tipps, können auch nur „genormte“ Werke entstehen. Schaut man sich aber mal den Kanon an, sind die Klassiker doch meist Bücher, die eben nicht den gängigen Mustern entsprechen und die – teils auf provokante Weise – mit den vorgegebenen Mustern, Strukturen und Regeln spielen. Daher mein einziger Tipp – den ich selbst übrigens immer wieder von anderen Autoren zu hören gekriegt habe: Lesen! Und zwar so viel wie möglich. Und dazu gehören nicht nur Prosa, Lyrik und Drama. Was mir persönlich die Augen geöffnet hat, waren Texte über Literaturtheorie. Ich weiß, dass sich deine Frage speziell auf junge Autoren in der Schulzeit bezieht. Aber selbst für dieses Alter und diesen Bildungsstand gibt es schon relativ verständliche Werke. Und falls die zu schwer sein sollten … Einfach was anderes lesen. Und natürlich schreiben. Und sich Kritik gefallen lassen – solang sie ernst gemeint ist. Gut, das waren jetzt mehrere Tipps. Vielleicht noch dieser eine, passend zum Ende dieses Interviews: Falls es mit dem Anfang nicht klappt, dann beginne mit dem Schluss oder in der Mitte. Schreibe einen Satz auf, der dir gefällt. Von dort aus kannst du weiterarbeiten. Niemand kann ernsthaft verlangen, dass ein Buch so geschrieben wird, wie man es liest, also von Anfang bis Ende an einem Stück durch. Allgemein sollte man als Schriftsteller nicht nur an der Handlung und einem Fortlaufen der selbigen interessiert sein. Jede Seite ist ein Kunstwerk, jeder Satz, jedes Wort. Und als solches muss es behandelt werden. Indem man an den Worten feilt und dem Buch dadurch einen weiteren Sinn gibt, also nicht nur den Handlungssinn, sondern auch die Ästhetik des Werks herausarbeitet.

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