All I want for Christmas – Weihnachtstraditionen in England

Basteln, Plätzchen backen, vor dem Adventskranz sitzen und singen – das sind alles herrlich idyllische Szenen, die man direkt mit einem verbindet: Weihnachten!

Für viele ist es die schönste Zeit des Jahres, ein bisschen runterkommen vom Trott des Alltags, ein bisschen Frieden finden in den altbekannten Weihnachtsritualen, die jede Familie so hat … Am 30. November war ja auch schon der erste Advent und das bedeutet: Voll rein ins Christmasfeeling!

Was aber, wenn man fernab von der Heimat in einem anderen Land ist und von den ganzen deutschen Traditionen nichts mitbekommt? Wenn man weit weit weg von Christstollen, Nikolausstiefeln und Co. ist … In diesem Dilemma befinde ich mich gerade, denn ich bin gerade in England zu einem Jahr Auslandserfahrung und kann deshalb den ganzen schönen vorweihnachtlichen Trubel nicht miterleben. Wie kann da Weihnachtsstimmung aufkommen und haben die Engländer überhaupt Weihnachtstraditionen? Gibt es schöne Weihnachtsmärkte mit Glühwein und Lebkuchen? Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden, hab ich mich in meinem direkten Umfeld auf die Suche gemacht und siehe da: Ja, es gibt Weihnachtstraditionen in England! Oh welche Freude, habe ich doch schon vermutet, den Dezember im immerwährenden Regen ohne einen Hauch weihnachtlicher Stimmung verbringen zu müssen. Leider muss ich wohl dieses Jahr ein paar Abstriche machen, denn obwohl es nette Traditionen gibt, Weihnachtsmärkte gibt es nicht, das hab ich enttäuscht feststellen müssen, also keine Bratwurst und keine Lebkuchenherzen für mich…

Als Entschädigung für diesen Mangel an Verständnis, was es unbedingt in der Vorweihnachtszeit geben muss, gibt es hier in Devon (eine Region in England an der Südküste) allerdings den „Christmas Carnival“. Als ich das Plakat gesehen habe, dass dieses dubiose Ereignis ankündigt, war mir sofort klar, dass ich das anschauen muss, und: Es war wirklich sehr schön und kann vielleicht sogar die Weihnachtsmärkte ersetzen, denn: Bratwürste wurden beim „Christmas Carnival“ auch verkauft! Ein Karneval im Winter (der diesjährige war Ende November), bei dem Wagen, mit vielen Lichterketten weihnachtlich geschmückt durch die Straßen ziehen, Weihnachtslieder spielen und Süßigkeiten austeilen. Die Kinder tragen, als Wichtel verkleidet, Laternen mit sich und die Cheerleader schwingen grün-rote Pompons. Alles in allem ist es wie der Karneval bei uns im Rheinland, nur dass eben „All I want for Christmas“ an Stelle von „Kölle Alaaf“ gesungen wird. Nach dem Carnival ist der Engländer so richtig eingestimmt auf die Weihnachtszeit und die Dekoration wird schon einmal hervorgeholt, denn pünktlich zum ersten Dezember wird das Haus geschmückt und häufig auch schon der Weihnachtsbaum aufgestellt. Die ganze Familie trifft sich bei zum Beispiel den Großeltern und dann wird zusammen das Haus dekoriert und Tee getrunken. Abends isst man gemeinsam ein „Roasted Dinner“. Das ist das typische englische Abendessen am Sonntag: Ein ganzes Hühnchen mit Brokkoli, Rotkohl, Blumenkohl in Käsesauce, gekochten Möhren und gerösteten Kartoffeln. Dazu gibt es „Yorkshirepudding“ und „Stuffing“, eine Mischung aus kleingehackten Brötchen, Kräutern und Gewürzen, die im Ofen gebacken wird. So verbringt man einen klassischen ersten Dezember in Devon. Eigentlich ganz nett, finde ich, das haben wir in Deutschland ja nicht … Dafür gibt es in England keinen Adventskranz. Über den fehlenden Weihnachtsmarkt kann man ja noch hinwegsehen, nutzen ihn manche Leute doch nur, um sich mit Glühwein mal so richtig volllaufen zu lassen, aber einen Adventskranz? Keine traditionellen vier Kerzen, kein Tannenduft und kein wöchentliches Liedersingen. Ich war ernsthaft enttäuscht, als ich meine Gastfamilie danach gefragt habe, vor allem als meine Mutter mir sagte, dass sie mir schwerlich einen nach England schicken könne.

Was den Engländern noch fehlt, ist ein Nikolaus (sie haben übrigens auch keinen Sankt Martin), und wie ich bemerke, wird die Liste der Sachen, die es hier nicht gibt, länger. Die englischen Kinder stellen ihre schön geputzten Stiefel am 6. Dezember nicht vor die Tür und sie bekommen auch keine Schokoladen-Nikoläuse am Morgen danach. Was es aber gibt, sind Adventskalender und die kann man, wie in Deutschland auch, schon lange vorher kaufen. Nun zum Plätzchen backen, einem, wie ich finde, äußerst wichtigen Kapitel im Buch der deutschen Weihnachtstraditionen, besonders daher, weil meine Familie immer selber Zimtsterne, Vanillekipferl und Co gebacken hat. Nachdem ich mal bei meinen Freunden nachgefragt habe, ob sie denn Vanillekipferl kennen und mir nur leere, ratlose Gesichter entgegen blickten, war ich wirklich depressiv. Weihnachten ohne Plätzchen? Ehrlich? Weitere Nachfragen haben ergeben, dass es hier zwar keine Zimtsterne oder Spritzgebäck gibt, dafür ist „Gingerbread“ sehr populär. Ein Keks, der häufig die Form eines kleinen Männchens hat und leicht nach Ingwer schmeckt.

So viel zur Vorweihnachtszeit. Aber was ist eigentlich an Weihnachten selber?

Zu den englischen Kindern kommt „Father Christmas“, nicht das Christkind, und bringt die Geschenke durch den Kamin. An „Christmas Eve“, also dem 24.12., passiert hier nicht viel. Sogenannte „Stockings“ werden an den Kamin gehängt, Socken, die „Father Christmas“ über Nacht mit Süßigkeiten füllt. Die Kinder gehen früh zu Bett, denn am 25.12 gibt es die Geschenke, die „Father Christmas“ über Nacht gebracht hat. Für die Engländer ist das der eigentliche „Christmas Day“, an dem die Familie später zusammen kommt, das Weihnachtsessen isst und einfach Zeit miteinander verbringt. Obwohl die Tage etwas verschoben sind, ähnelt das doch sehr dem Deutschen und ist, wie ich finde, auch sehr nett.

So, zu guter Letzt ein Resümee: Kein Nikolaus, keine Weihnachtsmärkte, kein Adventskranz, dafür aber ein Weihnachtskarneval und die Tradition des Hausschmückens durch die ganze Familie. Mir wird ganz sicher etwas fehlen in der kommenden Zeit, allerdings kann ich mich über einen ordentlichen Adventskalender freuen. Außerdem hab ich schon im Supermarkt deutschen Glühwein entdeckt und meine Familie hat mich auch nicht hängen lassen und mir Zutaten zum Plätzchen backen geschickt. Ich habe mir vorgenommen, die Weihnachtstraditionen zu revolutionieren, und die Vanillekipferl und Zimtsterne nach England zu bringen. In dem Sinne: Merry Christmas und eine fröhliche Weihnachtszeit!

Carmen Kühn (EF)

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