Charakterskizzen – Texte aus der Schreibwerkstatt

Was zeichnet jemanden aus? Wie denkt, fühlt und präsentiert er sich? Sei es in Büchern, Filmen oder Theaterstücken: Unterhaltung lebt von der Darstellung verschiedener Figuren. Die Schreibwerkstatt der Q1 unter der Leitung von Herrn Krupp hat selbst versucht, in Charakterskizzen den unterschiedlichsten Personen mit Worten Leben einzuhauchen.

 

ja-SagerDer Ja-Sager

Ja, ja, ja, ja. Egal was du möchtest, er willigt ein. Verneinungen sind für den Ja-Sager ein Fremdwort. Deshalb ist der Tag eines Ja-Sagers auch immer bis auf die letzte Minute voll. Es beginnt schon morgens beim Frühstück, wenn die Mutter ihn mit diesem Welpen-Blick anguckt und fragt, ob er heute Mittag seine Schwester vom Sport abholen kann. Aber er hat doch gestern schon einem Treffen mit seinen Freunden zugestimmt und mit seiner Freundin ins Kino gehen muss er auch noch und danach sogar noch mit ein paar Bekannten Dampf ablassen und beim Kraftsport die Muskeln spielen lassen. Jeder normale Mensch würde jetzt nein sagen, anders der Ja-Sager. Er versucht es einfach allen Menschen recht zu machen damit sie nicht von ihm enttäuscht sind.

In der Schule geht es dann weiter. Es kommt ihm so vor, als wolle die ganze Welt etwas von ihm. Seine Mitschüler zum Beispiel fragen ihn, ob sie seine Hausaufgaben abschreiben dürfen… da hat er gestern Nacht doch noch 2 Stunden dran gesessen… doch da sagt er auch schon ja und gibt ihnen sein Heft. Seine Lehrer fragen ihn wegen jeder noch so kleinen freiwilligen Aktion und natürlich, was soll er schon anders als „Ja“ dazu sagen. Nach dem anstrengende 6 Stunden an seinen Kräften gezerrt haben, kauft er sich in der Stadt erstmal etwas zu Essen… Naja, treffender wäre wohl zu sagen, dass er seiner halben Stufe etwas zu essen kauft, denn egal mit welchen Ausreden sie auch kommen, zum Schluss bezahlt er ja doch für sie. „Jaja, ist ja schon gut“ sagt er und streckt das Geld für die Döner dem Kassierer entgegen. Seine guten Freunde ermahnen ihn manchmal, dass er nicht immer ja sagen muss, doch so sehr er es versucht, im nächsten Moment murmelt er dann doch wieder ja. Erst wenn er abends alleine in seinem Zimmer hockt, hat er etwas Zeit für sich… wenn dann nicht doch noch ab und zu ein Freund anfragt, ob er noch mit ihm einen trinken geht. Jajaja, so endet zumeist der Tag des Ja-Sagers.

Henrik Schmitz (Q1)

nachdenkenDie Ich-denke-darüber-nach

Die Ich-denke-darüber-nach macht sich viele Gedanken. Währenddessen zieht die Welt an ihr vorbei. Die Geräusche um sie herum dringen nur dumpf an ihre Ohren. Richtig wahrnehmen tut sie sie nicht. Die Dinge, die in ihrer Umgebung geschehen, scheinen an einer unsichtbaren Kuppel abzuprallen. Diese Kuppel schirmt sie von der Außenwelt ab und schützt ihre Gedanken.

Auch gerade in diesem Moment überlegt die Ich-denke-darüber-nach. Sie grübelt im Grunde über alles.

Fragt sie jemand, ob sie sich treffen wollen, so sagt sie nur ‚Ich denke darüber nach‘. Und will jemand wissen, ob sie mitkommen möchte, so erwidert sie nur ‚Ich denke darüber nach‘.

Immer wieder verwendet sie diesen Satz. Ohne Nachzudenken entschlüpft ihr dieser Satz. Ganz anders als all die anderen Dinge, die ihr im Alltag begegnen.

Wenn sie nachdenkt, dann tut sie es allein. Aber egal, wo sie sich gerade zum Gedanken machen befindet: Überall entwickelt sich ihre Kuppel, die alles um sie herum verstummen lässt. Nur so kann sie wirklich klare Gedanken fassen.

Sie wiegt die Vorteile und die Nachteile einer Situation ab, aber letzten Endes kommt sie doch zu keinem endgültigen Schluss. Und wenn sie es doch einmal tut, so hat sie die Zeit zum Handeln längst verpasst.

Während sie immer weiter nachdenkt, zieht die Zeit an ihr vorbei und sie kommt nicht mehr dazu, zu handeln.

Ob sie sich ändern sollte und spontaner werden könnte? Einfach so sagen, was ihr als Erstes in den Sinn kommt? Ihre Kuppel der Isolation zerplatzen lassen? Nachdenken durch Handeln ersetzen?

Sie denkt darüber nach.

Alessa Schiefer (Q1)

vergessenDie Ups-Vergessen

Die Ups-Vergessen wacht auf, streckt sich und ihr Blick fällt auf die Uhr. „Ups vergessen! Der Wecker! Es ist ja schon halb acht!“ Sie springt auf, zieht sich an, sprintet die Treppe hinunter, greift ihre Tasche, wirft noch schnell einen Blick in den Spiegel und… – Ups vergessen! – Eine Hose! Ja, eine Hose anzuziehen wäre wohl besser. Sie läuft die Treppe hoch, in ihr Zimmer, geht zum Schrank, öffnet ihn und – warte mal… Was wollte sie nochmal? Sie schaut an sich hinunter – ach ja, die Hose! Sie nimmt die Erstbeste, die sie greifen kann und sprintet wieder die Treppe hinunter.

Sie öffnet die Haustür, geht hinaus und läuft zur Bushaltestelle. Der Bus kommt, sie steigt ein und begrüßt – Ups vergessen!  Das Ticket! Sie durchsucht ihre Tasche, räumt alles raus und wieder rein. Nichts. Dort ist kein Ticket. So ein Mist aber auch. Zum Glück sitzt ein Busfahrer hinter dem Steuer, der sie schon kennt. Denn man muss wissen: die Ups-Vergessen vergisst ihr Ticket ziemlich häufig.

Die Ups-Vergessen setzt sich auf einen Platz am Fenster und sucht erneut etwas in ihrer Tasche. „Ups vergessen“, murmelt sie. Diesmal ist es ihr Handy. Es muss wohl noch Zuhause liegen oder sie hat es gestern irgendwo anders liegen gelassen – aber warte mal -, wo war sie gestern überhaupt gewesen? Sie hatte es vergessen.

Der Bus hält und kündigt die Endstation an. „Ups vergessen! … Ich hätte eine früher aussteigen müssen! Naja, dann muss ich wohl laufen.“ Die Ups-Vergessen läuft los und schaut dabei auf die Kirchturmuhr, an der sie vorbei muss. Es ist 09:35. „Mist, schon wieder zu spät“, flucht sie leise. Nach einer fünfminütigen Laufeinlage kommt sie endlich schweißgebadet an, – doch warte – „Was ist denn hier los?“… „Ups vergessen! Wir haben ja Samstag!“ Sie fängt an zu lachen. Samstags muss sie ja gar nicht zur Schule, das war ihr wohl mal wieder entfallen.

Mira Hebel (Q1)

HandyDie Überbesorgte 

Schon wieder. Schon wieder sitze ich hier. Sitze hier und warte. Warte bis die Zeit vergeht. 23:50 Uhr. 23.51 Uhr. 23.52 Uhr. Wo bleibt sie denn nur? Nur noch acht Minuten. Ich schau auf mein Handy. Der Bildschirm bleibt schwarz. Ausschalten. Warten. Anschalten. Immer noch keine Nachricht. Immer noch keine Nachricht! Ist etwas passiert? Es ist etwas passiert. 23.54 Uhr. 23:55 Uhr. Nur noch fünf Minuten.

Meine Hand zittert. Mir ist gar nicht kalt. Der Raum um mich herum ist schwarz. Bis auf den Tisch. Auf dem Tisch vor mir steht eine Kerze. Sie beleuchtet mein Handy. Ein Blick darauf. Immer noch keine Nachricht. Ich erschaudere. 23.56 Uhr. 23.57 Uhr. Noch drei Minuten. Warum schreibt sie mir denn nicht wenigstens eine Nachricht? Es ist etwas passiert. Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich weiß nicht, wo sie ist und was sie macht. Was macht sie, wenn etwas passiert? Wenn etwas passiert, was mache ich dann? 23.58 Uhr. 23.59 Uhr. Es reicht. Vielleicht sollte ich die Polizei rufen. Wenn ich die Polizei rufe, dann wird sie gefunden. Wenn sie gefunden wird, habe ich sie wieder. Aber dann ist sie wieder sauer auf mich. Sauer, weil ich sie trotz ihrer einundzwanzig Jahre überwachen will.

Das Licht wird dunkler. Der Lichtkreis der Kerze kleiner. Die Schatten werden größer. Eingekuschelt in eine warme Decke sitze ich auf dem Küchenstuhl. Ich sitze da und warte. Ich warte. Warte und lausche in die Stille. Kein einziger Laut ist zu hören. Ich bin müde. Müde und hellwach. 0 Uhr.

Ich bin allein. Allein im Dunkeln. Langsam stehe ich auf. Stehe auf und gehe zum Fenster. Lehne mich gegen die Fensterbank. Draußen ist es dunkel. Der Himmel ist pechschwarz. Der Mond hell erleuchtet. Ich schiebe die Gardinen zur Seite. Blicke auf die Straße. Weit und breit niemand zu sehen. Der Weg unter meinem Fenster ist menschenleer. Laternen leuchten zwischen den Bäumen, welche die Allee säumen. Ein Schaudern. Ich drehe mich um. Lasse den Vorhang vor das Fenster fallen. Setze mich zurück an den Tisch. Ein Blinken. Das Handy. Akku fast leer. Ich springe auf. Haste in mein Schlafzimmer und suche das Ladekabel. Stecke meines an die Steckdose. 0.05 Uhr. Vor fünf Minuten. Vor fünf Minuten sollte sie kommen. Ich erstarre. Wie gelähmt schlurfe ich in meinen ausgelatschten Pantoffeln zurück in die Küche.

Setze mich. Lege den Kopf auf die kühle Tischplatte. Zittere. Ein Knacken. Ich zucke zusammen. Ich fahre hoch. Ein Knarzen. Adrenalin schießt durch meinen Körper. Ein Tapsen. Ich atme ein. Sehe auf. Ich atme tief ein. Ein Lichtschein schimmert unter der Tür hindurch. Die Tür schwingt mit einem leisen Quietschen auf. Da steht sie. Sie steht da! Ich atme aus. Sie kommt zu mir. Nimmt mich in den Arm. Drückt mich fest. Ich rieche ihren Duft nach kühler Sommerluft in ihren Haaren. Fühle ihren Herzschlag. Sie drückt ihre Nase in meine Haare und flüstert mir in mein Ohr: „Alles ist gut, Mama!“ Da ist sie.

Sie ist da!

Anna Hackbarth, Q1

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